Heilung von MS durch Stammzelltransplantation?

Heilung von MS durch Stammzelltransplantation?
Die Stammzelltransplantation ist die einzige kurative Therapie bei Multipler Sklerose und sollte nach aktueller
Studienlage bei ausgewählten Patienten häufiger berücksichtigt werden.
In Deutschland sind ca. 230.000 Menschen an Multipler Sklerose (MS) erkrankt. Damit ist MS die häufigste Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems. Mittlerweile gibt es unterschiedliche Therapien, die hocheffektiv zur Prophylaxe von Krankheitsschüben eingesetzt werden können. Allerdings ist der Erfolg hinsichtlich einer langfristigen Progressionshemmung begrenzt.
Auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) plädiert Privatdozent Dr. Harald Prüß,
Neuroimmunologe an der Berliner Charité, für einen breiteren Einsatz der Stammzelltransplantation [1]. Diese wurde bisher nur in letzter Instanz eingesetzt, da diese Therapie sehr risikoreich ist. Neuere Studiendaten scheinen dies zu relativieren.

Evobrutinib ohne Einfluss auf Progression der Behinderung
Als Beispiel einer Therapieoption, die zwar zur Reduktion von Gehirnläsionen im MRT führte, jedoch keinen Unterschied
im Hinblick auf Progression der Behinderung und jährliche Schubrate brachte, nannte Prüß Evobrutinib. Erste Ergebnisse
aus einer Placebo-kontrollierten Studie mit dem Tyrosinkinaseinhibitor wurden im Juni 2019 im renommierten New
England Journal of Medicine veröffentlicht [2]. Ob Evrobrutinib in der langfristigen Progressionsreduktion überzeugen
kann, steht aktuell noch nicht fest. Dazu ist eine weitere Beobachtung über die bisherigen 24 Wochen Nachbeobachtungszeit notwendig.

Verlaufsmodifizierende Therapie scheint Fortschreiten nicht zu verhindern
Daten der prospektiven UCSF-MS-EPIC-Studie [3] sowie aktuelle Daten aus dem 14-Jahres-Follow-up der Studie [4]
zeigen insgesamt, dass bei einem Drittel der Patienten mit schubförmiger MS eine Zunahme des Behinderungsgrades
erfolgte – trotz erfolgreicher Schubprophylaxe.

Stammzelltherapie als einziger kurativer Behandlungsansatz
Trotz der enormen Entwicklung neuer Therapieoptionen für MS-Patienten, ist die einzige kurative Therapie die
Stammzelltransplantation. Diese Opt ion zeigte sich in früheren Studien als vielversprechend, ist jedoch auch mit vielen Risiken und Nebenwirkungen verbunden.

Aktuelle Studiendaten vielversprechend in Bezug auf HSZT
In einer kürzlich publizierten Studie wurde die Stammzelltherapie mit der medikamentösen Therapie verglichen [5]. In die randomisierte, multizentrische Studie gingen 110 Patienten mit schubförmig-remittierender MS ein. Es erfolgte ein
Vergleich zwischen nicht-myeloablativer hämatopoetischer Stammzelltransplantation (HSZT) mit
krankheitsmodifizierenden Therapien. In der Gruppe, welche die Stammzelltransplantation erhalten hatte, war die Zeit bis zur Krankheitsprogression signifikant verlängert (Hazard Ratio 0,07). In der transplantierten Gruppe waren Rückfälle seltener, die Lebensqualität höher und der Grad der Behinderung hatte abgenommen. Die Nebenwirkungen waren vertretbar, die Toxizität erreicht maximal Grad 3. Lebensbedrohliche Ereignisse und Todesfälle traten nicht auf.

Einsatz der HSZT bei ausgewählten Patienten
Trotz der Limitationen der Studie, neue hochwirksame Medikamente wie Ocrelizumab waren noch nicht verfügbar für die
Kontrollgruppe und die Teilnehmerzahl war gering, scheinen die Studienergebnisse für einen breiteren Einsatz der HSZT
zu sprechen. „Ob die Stammzelltherapie langfristig und bei unterschiedlich betroffenen MS-Patienten die Krankheits- und Behinderungsprogression verhindern kann, muss noch abgewartet werden. Vor dem Hintergrund der aktuellen
Studienlage sollte die Stammzelltransplantation allerdings häufiger als bisher im klinischen Alltag bei ausgewählten
Betroffenen zum Einsatz kommen, zumal sie in erfahrenen Zentren mittlerweile mit einer relativ geringen
Komplikationsrate einhergeht“, so das Fazit von Prüß.

Autor: Dr. Melanie Klingler (Medizinjournalistin)
Stand: 17.10.2019
Quelle:
1. Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), Pressemeldung, 27.09.2019
2. Montalban et al. (2019): Placebo-Controlled Trial of an Oral BTK Inhibitor in Multiple Sclerosis. New England Journal of Medicine, DOI: 10.1056/NEJMoa1901981
3. Cree et al. (2016): Long‐term evolution of multiple sclerosis disability in the treatment era. Annals of Neurology, DOI: https://doi.org/10.1002/ana.24747
4. Cree et al. (2019): Silent progression in disease activity–free relapsing multiple sclerosis. Annals of Neurology, DOI: https://doi.org/10.1002/ana.25463
5. Burt et al. (2019): Effect of Nonmyeloablative Hematopoietic Stem Cell Transplantation vs Continued Disease-
Modifying Therapy on Disease Progression in Patients With Relapsing-Remitting Multiple Sclerosis. JAMA, DOI:
10.1001/jama.2018.18743